Keine Angst vorm Älterwerden
„Habt keine Angst“ oder „Fürchtet euch nicht“ – so oder so ähnlich können wir in der Heiligen Schrift 365 Mal lesen – das heißt, diese Zusage gilt für jeden Tag im Jahr! Trotzdem haben Menschen in vielen Situationen Angst. Der Übergang in den Ruhestand ist dabei für viele Menschen eine besondere Hürde, weil er einen Lebensabschnitt einleitet, der mit Einschränkungen verbunden ist und schlussendlich mit dem Tod endet.
Angst gehört zu den vier Grundgefühlen – wie Freude, Trauer und Wut. Das sind Gefühle, die uns mit der Kraft versorgen, um ein erfülltes Leben führen zu können. Angst hat einen zweifachen Aspekt. Einerseits kann sie uns schützen und aktivieren, andererseits kann sie uns lähmen und krankmachen. Sie ist auch Signal und Warnung bei Gefahren und gibt gleichzeitig den Impuls, sie zu überwinden. Jesus fragte bei Sturm am See Genezareth seine Jünger: „Warum habt ihr solche Angst, habt ihr keinen Glauben?“ (Die Bibel, Markus, Kapitel 4, Vers 40). Auch uns gilt die Frage des Herrn. Denn es wird niemanden geben, der die Angst nicht kennt. Unser Wohlstand macht uns keineswegs angstfrei. Auch Jesus hatte Angst! Die Todesangst hat er im Vertrauen auf Gottvater auf sich genommen zu unserem Heil.
Ängste, die das Älterwerden begleiten
Victor Frankl sagt, es versteckt sich das „existentielle Vacuum“ hinter den Schlagworten „Midlifecrisis“ bzw. „Burnout“, Pensionsschock oder Torschlusspanik. Man fühlt sich als altes Eisen und nicht mehr gebraucht. Das Gefühl „nichts mehr wert zu sein“ verdichtet sich mit nachlassenden Kräften im höheren Alter bis hin zu einem eventuellen Aufenthalt in einem Pflegeheim, weil es die herkömmlichen Familienverbände so nicht mehr gibt. Jede Entwicklung und jeder Reifungsschritt ist mit Angst verbunden, weil er uns in unbekannte Bereiche führt. Aus vielen Gesprächen habe ich erfahren, dass Frauen wegen anderer Dinge Angst haben als Männer. Bei Frauen ist das Schwinden ihrer Schönheit oder die wegfallende Mutterrolle das, was am meisten als beängstigend wahrgenommen wird. Männer vermissen eher die Wertschätzung, die sie im Beruf hatten oder haben Angst, wegrationalisiert zu werden oder dem Druck nicht mehr standhalten zu können.
Angst vor einem neuen Lebensabschnitt ist ganz normal. Ich kann auf bereits Durchgestandenes und die Erfahrungen daraus zurückgreifen. Wenn ich spüre, dass mit dem Alter meine Kräfte nachlassen, wie kann ich dieser Herausforderung begegnen? Habe ich den Mut, mich der Angst zu stellen? Kann ich einen Sinn darin erkennen? Jeder Mensch ist vor Gott gleich wertvoll, ob leistungsfähig oder nicht. Kann ich dieses Angebot von Gott auch für mich in Anspruch nehmen? Gerade, weil ich mich so getragen fühle, darf ich davon ausgehen, dass Gott dieses Angebot für alle bereit hält.
Reaktionen des Organismus bei Angst
Unser Körper reagiert bei Angst mit zwei Reaktionsketten, die Hormone freisetzen. Einerseits eine kurzfristige Reaktionskette, die schnelle Energie bereitstellt, damit wir kämpfen oder flüchten können; andererseits eine langfristige Reaktionskette, hier wird Kortison und Kortisol ausgeschüttet, diese wirkt regulierend auf Fett- Kohlehydrat- und Eiweißstoffwechsel – diese ist sehr wichtig bei der Bewältigung der Stresssituation. Allerdings wenn der Stresslevel längere Zeit hoch bleibt, kann das schwerwiegende gesundheitliche Folgen haben wie Spannungskopfschmerz, Schlafstörungen, Lern- und Konzentrationsschwäche, Infektanfälligkeit usw.
Der Angst begegnen
Menschen, die in ihrer Angst gefangen sind, brauchen eine Begegnung auf Augenhöhe. Das heißt, dem Gegenüber mit Wertschätzung und Einfühlungsvermögen begegnen. Anstelle gut gemeinter Ratschläge brauchen diese Menschen empathisches Verstehen und die Konfrontation mit Fragen, welche Nachdenkprozesse auslösen. Dadurch werden Ressourcen und gespeicherte Erfahrungen nutzbar gemacht. Den engen Zusammenhang zwischen Emotionen und Körperhaltung kann man sich ganz besonders bei der Bearbeitung von Angst zunutze machen. Durch bewusstes Aufrichten des Körpers ist es möglich, der Angst entgegenzuwirken. Gefühle wie die Angst sind wichtige Signalgeber und zeigen, dass etwas zu bearbeiten ist. Ein „Gefühl loswerden“ ist nicht gleichbedeutend mit „ein Gefühl nicht wahrhaben wollen“. Tiefes Atmen hilft, den Stresslevel zu senken und Angst und Anspannung zu verringern. Durch tiefes Atmen werden Signale an das Gehirn gesendet, um zu entspannen und sich zu beruhigen und es hilft auch, das Stresshormon Kortisol zu reduzieren.
Die Wichtigkeit von Tätigkeiten mit Sinngehalt wie z.B. Arbeit, Spiel, Sport, Freundschaften, Familie, Hobbies, etc. zum Schutz vor Ängsten, Neurosen, Depressionen und psychosomatischen Störungen betont Elisabeth Lukas in ihrem Buch „Auf das es dir wohl ergehe“.
Viktor Frankl meint, wo eine Situation nicht änderbar ist, gerade dort wird von uns verlangt, dass wir uns selber ändern, reifen und wachsen, um über uns hinauszuwachsen. Die Reifung beruht darauf, dass der Mensch zur inneren Freiheit gelangt – trotz äußerer Abhängigkeit. Nicht wir Menschen stellen die Fragen, sondern das Leben stellt die Fragen an uns und wir sind gefordert, Antworten zu finden.
Literatur
Lukas Elisabeth, Auf das es dir wohl ergehe. Verlag Kösel
Frankl Viktor (Ungekürzte Ausgabe 2007). Ärztliche Seelsorge, Grundlagen der Logotherapie und Existenzanalyse. Verlag dtv, 1. Auflage 2014, ISBN 978-3-423-34427-2
Anita Maria Hetzeneder ist verheiratet mit Reinhard, Mutter von 2 Kindern und lebt im Innviertel, sie ist Diplomkrankenschwester, Diplom Lebens- und Sozialberaterin in freier Praxis. www.Lebensberatung-hetzeneder.net
Dieser Artikel erschien in der Zeitschrift Ehe und Familien Bausteine Nr. 104. Sie können diese Zeitschrift kostenlos als pdf-Datei bekommen, wenn Sie sich beim Newsletter anmelden.
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