Erziehung, die Sinn vermittelt

In den letzten Jahrzehnten entstanden unzählige Modelle der Erziehung. Ob sie gut und erfolgreich sind, weiß man oft erst eine Generation später.

Ein Merkmal unserer Zeit ist ein großes Streben nach Freiheit und Unabhängigkeit. Bei genauem Hinsehen kann man jedoch oft feststellen, dass es nur um ein Loskommen von früheren Bindungen geht und neue, selbst gewählte Abhängigkeiten eingegangen werden. Viele machen sich abhängig von Modetrends, sind abhängig von Pessimismus des Zeitgeistes und Leichtgläubigkeit der modernen Medien. Die angestrebte Befreiung von Tradition und die Emanzipation um jeden Preis haben sich nicht bewährt.

Frei und verantwortlich sein

Freiheit hat für jeden eine individuelle Bedeutung. Wir alle haben Grenzen und sind durch unsere Lebensgeschichte auf bestimmten Bahnen unterwegs, die wir nur begrenzt verändern können.

Bei der Übernahme von Verantwortung handelt es sich um ein freiwilliges Gebunden sein an etwas, das nicht von außen kommt, sondern von innen – an das Gewissen. Verantwortlich sein heißt, den Sinn der Situation erfüllen und das eigene Handeln vom Hinhorchen auf das Sinnvolle abhängig machen.

„Solange Frei sein nicht verknüpft ist mit Verantwortlich sein – ist der Mensch noch nicht zu seiner wahren Entfaltung gekommen“, sagt Viktor Frankl

Strategien, seinen Willen durchzusetzen

Bei einer Studie haben die beiden Psychologen Helmut Pauls und Arno Johann 237 Mädchen und Buben im Alter von 8 und 11 Jahren folgende Frage gestellt: „Wie macht ihr es, wenn ihr eure Eltern ’rumkriegen’ wollt?“ Anlass war der allabendliche Kampf ums Fernsehen, wenn Eltern ihre Kinder ins Bett schicken, diese jedoch selber noch den späten Krimi mit den Eltern anschauen wollen.

Vier Typen von Taktikern wurden herausgefunden:

  1. Die Konstruktiv-Aktiven – diese veranlassen die Eltern mit irgendwelchen Argumenten, die für den Film sprechen, zum Nachgeben.
  2. Die Nörgler – handeln nach dem Motto: „Ihr seid so gemein, selber glotzt ihr und ich soll ins Bett“ und erzeugen damit ein schlechtes Gewissen bei den Eltern.
  3. Die Raffinierten – schmeicheln sich mit Bussis und Betteleien zumindest bei einem Elternteil ein, der dann für sie ihren Willen durchsetzt.
  4. Die Erpresser – halten ihre Eltern mit drohenden Wutausbrüchen in Schach.

Die Studie zeigte außerdem, dass sich Eltern von konstruktiv-aktiven Kindern am ehesten durchsetzen können, während sie den anderen Taktikern gegenüber ziemlich hilflos ausgeliefert sind.

Es geht um einen Machtkampf zwischen Erziehern und zu Erziehenden. Die Kinder ringen um ihre Freiheit, die allerdings nicht mit Verantwortlichkeit verknüpft ist. Sie wollen frei sein vom Schlafengehen müssen. Die Eltern wiederum ringen um ihre Verantwortung, ihre Kinder ins Bett zu schicken, weil sie wissen, dass ihre Kinder den Schlaf brauchen. Sie sind jedoch selber nicht frei genug, aufs Fernsehen zu verzichten. Das eigentliche Problem sind nicht die Taktiken der Kinder oder die Hilflosigkeit der Eltern, sondern ob sich die Eltern und die Kinder am Sinn der Situation orientieren. Es kann durchaus sinnvoll sein, einmal einen späten Film miteinander anzusehen, wenn es eben ein besonderer Film ist. Ein anderes Mal kann es sinnvoll sein, statt fernzusehen ein gemeinsames Spiel zu machen oder spazieren zu gehen. Genauso kann es sinnvoll sein, Kinder früh zu Bett zu bringen und selber noch aufzubleiben, um etwas Sinnvolles zu erledigen. Die Regeln für die Entscheidung darüber, was jeweils das Sinnvollste ist, gelten für Eltern und Kinder gleichermaßen.

„In unserer Zeit soll Erziehung nicht nur Wissen vermitteln sondern auch das Gewissen schärfen, damit der Mensch hellhörig genug ist, die Anforderung jeder Situation zu erkennen. In einer Zeit, in der die Zehn Gebote für viele Menschen ihre Geltung verlieren, ist das eine besondere Herausforderung.“ (Viktor Frankl)

Der Situation einen Sinn geben

Oft fragen junge Menschen: Was bringt mir das, wenn sie vor eine Aufgabe gestellt werden und sie darin keinen Vorteil für sich erkennen können.

Wer nicht bereit ist, sich an eine Sache hinzugeben und Vorleistungen zu erbringen, der bleibt am Oberflächlichen hängen. Sich-berieseln-Lassen und Konsumieren hinterlässt am Ende ein inneres Leeregefühl.

Eine wichtige Aufgabe der Erziehung ist es, zu vermitteln, dass für ein sinnerfülltes Leben Vorleistungen zu erbringen sind.

Ein 13-jähriger berichtet begeistert über seinen Schulausflug: Die Schüler hatten eine Burg besichtigt und eine Wanderungen unternommen. Auf dem Rückweg versäumten sie den Bus und die müden Schüler mussten einige Kilometer bis zur nächsten Bahnstation gehen. Für diesen Jungen war dieses letzte Wegstück das Spannendste des ganzen Tages gewesen. Der Lehrer teilte die Klasse in vier Gruppen für einen Wettbewerb.

Jede Gruppe durfte sich eine Aufgabe überlegen und am Ende des Tages wurden die kreativsten Ideen bewertet. Dieser Lehrer hatte ihnen mit seiner Aufgabe gezeigt, dass aus fast jeder Lebenssituation ein Sinn herausholbar ist.

Gaben erkennen und fördern

Den Blick zu schärfen für all das Gute und Schöne in der Welt ist ein wichtiger Bestandteil gesunder Psychohygiene. Die Eltern kämpfen damit, dass ihr Sohn ein schlechter Schüler ist. Lernen macht ihm keinen Spaß und er verbringt viel lieber Zeit mit Basteleien. In der Auseinandersetzung mit dieser Situation lernen sie eine neue Wahrnehmung zu formulieren: „Unser Sohn ist zwar in der Schule nicht besonders gut, handwerklich jedoch ist er so tüchtig, dass er die schönsten Sachen zusammenbastelt.“ Wenn es in der Schule oder zu Hause Probleme gibt, dann ist es wichtig nach den konstruktiven Anteilen zu suchen.

Einen Blick für sinnvolle Wege entwickeln

Unsere Handlungsabsichten brauchen einen Fokus für sinnvolle Handlungen. Hier geht es darum, Sinnvolles anzustreben statt angstmachende Szenarien zu vermeiden.

Elisabeth Lukas führt dazu ein Beispiel an: Eine 17-Jährige bricht ihren Unterricht am Gymnasium ab und zieht zu ihrem Freund, um dem Schulstress zu entgehen. Sie wird schwanger und so wird geheiratet, nicht, weil die jungen Leute bereit sind, eine Familie zu gründen, sondern weil sie sich bei den Nachbarn nicht ins Gerede bringen wollen. Dann nimmt die junge Mutter einen Job an, aber nicht, weil sie sich nützlich betätigen möchte, sondern um aus den Schulden herauszukommen. Bald gibt es Streitigkeiten, aber nicht, um unterschiedlichen Meinungen in einen fruchtbaren Kompromiss zu integrieren, sondern um die Überlastung von Beruf Haushalt und Familie abzureagieren. Am Ende steht die Scheidung, aber nicht, weil jeder einen sinnvollen Neuanfang darin sieht, sondern weil keiner mehr weiter weiß.

Typisch für solche Schicksale ist, dass alle Entscheidungen aus dem Wunsch etwas Unangenehmes zu vermeiden getroffen werden. Die Motivation für das Handeln ist nicht ein „Streben nach“, sondern ein „Davonlaufen vor etwas“.

Ein großes Ziel der Erziehung ist es, zu positiven Entscheidungen zu befähigen. Es geht nicht nur darum das Richtige zu erkennen, sondern auch das Richtige zu wollen.

Brigitte Malzner, Diplom Lebens- und Sozialberaterin, www.coachingteam.info

Quelle: Elisabeth Lukas „Gesinnung und Gesundheit“ , ISBN 3-451-08348-5

Dieser Artikel erschien in der Zeitschrift Ehe und Familien Bausteine Nr. 99. Sie können diese Zeitschrift kostenlos als pdf-Datei bekommen, wenn Sie sich beim Newsletter anmelden.

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