Dialog nach 35 Jahren Ehe

Wir sind 35 Jahre verheiratet. Am Hochzeitstag blicken wir in einem Dialog auf die gemeinsamen Jahre zurück. Unsere drei Kinder sind erwachsen und das Wohnzimmer gehört wieder uns Beiden. Wir genießen unsere Zweisamkeit als zweiten Frühling unserer Beziehung. Ein Dialog entwickelt sich.
Helmut: Es scheint wie ein Wunder, dass wir diese 35 Jahre so gut überstanden. Unser Start war ja nicht so einfach. Einen Großteil unserer gemeinsamen Zeit verbrachten wir mit Hausbauen, Kinder groß ziehen, Haus umbauen und an Krankenbetten verweilen. Anfangs waren wir der Überzeugung, dass wir ein perfektes Ehepaar werden, die alles besser machen als andere. Genaugenommen hatten wir damals sehr wenig Ahnung von Kommunikation und Beziehungsgestaltung.
Brigitte: Deine ruhige Art hat mir gefallen. Du warst ein guter Zuhörer. Ich habe sehr geschätzt, dass du fleißig warst. Später erlebte ich, dass du vor lauter Arbeit keine Zeit für mich hattest.

Ich fühlte mich mit den Kindern allein gelassen und habe dir oft vorgeworfen: „Du hast nie Zeit für mich, bist mit der Arbeit verheiratet. “ Weißt du noch, als ich nach etwa sechs Jahren am liebsten mit unseren damals zwei Kindern im Alter von zwei und vier Jahren ausziehen wollte? Immer wenn ich davon sprach, dass wir uns Hilfe suchen sollten, stieß ich bei dir auf Ablehnung. Doch ohne Hilfe konnten wir unsere Probleme auch nicht lösen.
Helmut: Beratung und Hilfe von außen zu suchen wäre für mich ein Eingeständnis meines Versagens gewesen. Ich dachte: wir lösen unsere Probleme selber. Trennung war für mich erst recht kein Thema. In der Arbeit war ich selber ein Getriebener, im Hamsterrad gefangen. Dass dabei wesentliche Bedürfnisse von dir und den Kindern zu kurz kamen, war mir damals nicht bewusst. Damals sah ich keine Alternative.
Kannst du dich noch erinnern, als ich in dieser Zeit mit einer Einladung zu einem Eheseminar nach Hause kam? Obwohl gerade ich derjenige war, der so etwas nie wollte. Wie skeptisch waren wir beide damals, ob uns so etwas in unserer Situation helfen könnte? Es ist erstaunlich, dass wir dann doch gefahren sind. Insgeheim hatten wir ja beide die Hoffnung, dass der jeweils andere durch dieses Seminar endlich einmal seine Fehler erkennen würde. Und wie überrascht waren wir, dass die anderen teilnehmenden Paare ähnliche Probleme hatten. Wir waren überhaupt nicht alleine mit unseren Schwierigkeiten.
Brigitte: In diesem Seminar wurde uns deutlich bewusst, wie dringend wir wirklich Hilfe brauchten. Wir lernten, dass die Persönlichkeitsmerkmale, die uns anfangs aneinander so attraktiv erschienen und uns gegenseitig anzogen, zu unseren Kampfplätzen geworden waren. Die Seminarleiter sahen das als eine ganz normale Entwicklung. Sie erklärten uns, dass wir lernen müssten, mit unseren Eigenheiten und unserer Unterschiedlichkeit gut umgehen zu können. Wie schwierig war es doch dann für uns, mit den im Seminar gelernten Methoden für Kommunikation und Konfliktklärung umzugehen. So als hätte man zum ersten Mal eine Bohrmaschine in der Hand. Wir stellten uns anfangs nicht sehr geschickt damit an. Die Trainingsphase war ziemlich hart. Es sind auch nachher noch so manche Tränen geflossen. Doch ein guter Beginn war gemacht.
Weißt du noch, dass wir in diesem Seminar die Entscheidung trafen: das Wort „Scheidung“ nehmen wir nicht mehr in den Mund. Ich habe damals gemerkt, dass mein Denken: „Wenn es nicht funktioniert, dann gehe ich“, für eine positive Beziehungsgestaltung nicht hilfreich war. Ich wollte lernen, nach vorne zu schauen und in Zukunft dafür sorgen, dass unsere Beziehung wachsen könne.
Helmut: Trotz mancher harter Rückschläge gab es viele positive Erfahrungen, die uns ermutigten, dran zu bleiben. In den weiteren Beziehungsseminaren, die wir in den folgenden Jahren besuchten, lernten wir die neuen Werkzeuge wirklich im Alltag einzusetzen und damit hat sich unsere Beziehung langsam stabilisiert.
Unsere Stolpersteine
Helmut: Wir hatten sehr unterschiedliche Zugänge zu Ordnung, Kommunikation, Konfliktbearbeitung und Kindererziehung. Da hatten wir genug Themen, um uns ständig in die Haare zu geraten. Dir war es damals besonders wichtig, im Haus Sauberkeit und Ordnung zu haben und für mich war das überhaupt nicht wichtig.
Brigitte: Du konntest zwar gut zuhören, jedoch war es für mich sehr schwierig, deine Meinung zu erfahren. Bevor du deine Gedanken preisgabst, musstest du dir völlig klar sein, wie du zu dem jeweiligen Thema dachtest. Hier hast du dich ganz schön geändert. Mittlerweile lässt du mich manchmal auch an deinen halbfertigen Gedanken teilhaben.
Helmut: Ich glaube, das kommt daher, dass ich weiß, ich kann dir vertrauen, dass du mit meinen halbfertigen Gedanken sorgsam umgehst.
Brigitte: Im Gegensatz zu dir war ich mit meinen Äußerungen oft sehr spontan. Je mehr du geschwiegen hast, desto mehr übernahm ich das Reden. Unsere gemeinsame Kommunikation geriet dadurch in gewaltige Schieflage.
Helmut: Anfangs war es für uns nicht einfach, anstehende Konflikte zu klären. Wie oft passierte es, dass unsere Emotionen hochgingen oder wir in alte Muster zurückfielen. Für dich war es damals sehr hilfreich, den schriftlichen Dialog als Werkzeug zu benutzen.
Friede um jeden Preis
Brigitte: Unser Zugang zu Kindererziehung war von unserer unterschiedlichen Orientierung in Bezug auf Ordnung und Freiheit geprägt. Dir war es wichtig, den Kindern viel Freiheit zu geben, sie an der langen Leine zu führen und für mich waren Ordnung und Strukturen wichtig. Für mich war es schwer zu ertragen, unsere Kinder streiten zu sehen. Ich griff daher schnell ins Geschehen ein und wollte Frieden stiften. Wie oft bin ich dann selber Teil eines eskalierenden Konfliktes geworden. Ich musste es aushalten lernen, dass Kinder streiten und mich nicht einzumischen.
Helmut: Daran kann ich mich gut erinnern. Manchmal suchten die Kinder in ihrem Streit auch eine Bühne. Wenn keine zuhörende Mutti da war, legte sich der Streit auch ganz schnell wieder. Weißt du noch, wie ich dir sagte, dass du am besten außer Hörweite gehen sollst, wenn du willst, dass die Kinder den Streit alleine beenden. Wie überrascht warst du damals, als du gemerkt hast, das funktioniert tatsächlich.
Von mir haben sie das Streiten nicht gelernt – ich ging damals Konflikten aus dem Weg. Streit hätte ja die Harmonie stören können. Friede um jeden Preis war für mich ein starkes Motiv. Dadurch wurde natürlich vieles nicht geklärt und Konflikte oft erst recht heraufbeschworen, die oft zum falschen Zeitpunkt aufbrachen. Es war ziemlich hart für mich zu lernen: Ich muss durch den Konflikt hindurch, wenn ich Frieden haben will.

Miteinander kompetent kommunizieren
Brigitte: Mit der Zeit entdeckten wir, dass wir besonders dann Streit hatten, wenn wir unter Stress standen. Es ist ganz interessant zu beobachten, wie die Fähigkeit zuzuhören und empathisch und rational zu reagieren, proportional zum Stressniveau abnimmt.
Früher gab es so manche Reizwörter, die wie emotionale Druckknöpfe wirkten und unnötige Konflikte auslösten. Diese zu bearbeiten war ein wichtiger Weg zur Stärkung der Beziehung. Für mich waren die „Vier Schritte nach Marshall Rosenberg“ und das „Vier-Ohren-Modell von Schulz von Thun“, besonders effiziente Werkzeuge. Wenn ich bei dir so einen Druckknopf erwischte, habe ich dich manchmal gefragt: „Mit welchem Ohr hast du denn das jetzt gehört?“
Helmut: Ja, ich glaube, da haben wir beide viel an uns gearbeitet. Früher passierte es häufig, dass wir Aussagen falsch interpretierten, statt noch einmal rückzufragen und das führte oft zur Eskalation. Und dann war auch meine Angst vor Zurückweisung. Diese führte dazu, dass ich anderen gegenüber besonders gefällig war, ohne auf meine eigenen und deine Bedürfnisse zu achten.

Mit Krankheiten leben lernen
Helmut: Krankheiten haben uns gewaltig durchgeschüttelt und Stress gemacht. Früher litten wir mit unseren Kindern mit, als sie so manche Zeiten im Krankenhaus verbrachten und in den letzten Jahren waren wir selber betroffen. Als du die Diagnose Krebs bekamst war das für mich eine große Herausforderung, mit der ich schwer umgehen konnte. Ich fühlte mich völlig hilflos und ohnmächtig. Zuschauen müssen und nichts tun zu können war für mich sehr schwierig.
Brigitte: So ähnlich ging es mir, als bei dir ein Tumor festgestellt wurde. Für mich bedeutete diese Situation einen enormen Stress, da ich wusste, dass du nach der OP für einige Zeit viele Tätigkeiten nicht mehr machen konntest und ich manche Dinge auch nicht übernehmen konnte. Für uns beide bedeutete diese Erfahrung, mit begrenzter Energie und eingeschränkten Möglichkeiten leben zu lernen. Ich glaube, es hat uns dazu gebracht, achtsam unsere Grenzen wahrzunehmen, die Kräfte vorausschauend einzuteilen und manche Dinge loszulassen.
Erkenntnisse

Brigitte und Helmut Malzner, leben in Nußbach (OÖ), haben eine Beratungspraxis CoachingTeam Malzner, www.coachingteam.info
Dieser Artikel wurde gekürzt. Ungekürzt ist er in Ehe und Familien Bausteinen Nr. 102 im Mai 2017 erschienen.

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